Interview

Warum Journalismus?

Die Dame vom Arbeitsamt hat mir eine Liste vorgelegt und fünf Minuten Zeit für die Entscheidung gelassen. Es hätte auch Bauzeichnerin werden können.

Eine unromantische Erklärung für einen Traumberuf ...

Stimmt.

Wärst du jetzt lieber Bauzeichnerin?

In der zweiten Ausbildungswoche an der Journalistenakademie schrieb ich meine erste Reportage. Mir wurde klar: Das ist genau das, was ich will.

Und was ist das?

Ich nenne das geführte Kreativität: Ich habe ein Fundament aus Fakten. Wenn das hält, kann ich meiner Fantasie freien Lauf lassen.

Warum Wissenschaftsjournalismus?

Ich habe eine große Liebe zur Wissenschaft. Seit Habakuk Tibatongs Tierschule, seit Arthur Conan Doyles „The lost world“, später dann Konrad Lorenz. Ich wusste seit der zehnten Klasse, ich will Neurobiologin werden.

Aha, das war also der Traumberuf?

Ganz nah dran, aber ich bin dann doch eine Spur zu verspielt.

Zu verspielt?

Nennen wir es anders: Ich steh unter einem kreativen Druck. Der muss raus.

Dann hätte es ja auch etwas Künstlerisches werden können.

Ich habe mein Biologie-Studium unterbrochen, um Schauspielerin zu werden. Während der Proben las ich Storchs Lehrbuch der Zoologie. Da dachte ich, es ist Zeit an die Uni zurückzukehren.

Noch weitere Unterbrechungen?

Das waren die 80er …

Ja, und?

Ein Semester Theaterwissenschaft, zwei Semester Philosophie.

Und über was promoviert?

Den Geruchssinn der Makaken.

Das klingt nach einem Außenseiterthema.

Nicht für mich. Das ist das Spannende an Wissenschaft: Jeder kleine Baustein zählt. Aus der Vermessung von Finkenschnäbeln entstand eine neue Weltsicht.

Fazit der Doktorarbeit?

Der Geruchssinn der Primaten ist besser als gedacht. Manche Düfte können Affen sogar besser wahrnehmen als Hunde. Und: Testet man die Intelligenz der Affen nicht wie üblich mit Seh-, sondern mit Duftreizen, schneiden sie schlechter ab als etwa Ratten.

Das bedeutet für mich?

Als Primat sollte man sich etwas weniger auf seine Sinnes- und Denkleistung einbilden. Wir sind gerade mal so gut wie es die Umwelt erfordert. Wie jedes andere Tier auch.

Nach der Doktorarbeit …

… war ich Post-Doc in Japan und habe den Geruchssinn der Japaner untersucht.

Wieso bist du nicht in der Forschung geblieben?

Wie gesagt, da war mein Spieltrieb. Außerdem gab es keine Stelle für mich. Was zurück zur Dame vom Arbeitsamt führt.

Wie hast du im Journalismus Fuß gefasst?

Ich habe eine neun-monatige Ausbildung zur Online-Journalistin gemacht, ein einjähriges Volontariat im Springer Science-Verlag und anschließend dort als Redakteurin gearbeitet.

Das klingt solide. Warum bist du dann in die Selbstständigkeit gewechselt?

Soll das heißen, das ist unsolide?

Nein, aber ein wagemutiger Sprung.

Ich habe mir noch im Biologiestudium ausgemalt, wie es ist, meine eigene Firma zu haben, Namen erfunden und Logos entworfen. Das musste ich irgendwann umsetzen.

Und schon mal bereut?

Nein.

Worüber schreibst du am liebsten?

Das Gehirn, die Ungerechtigkeit in der Welt und an dem Thema, das gerade vor mir auf dem Tisch liegt.

Das ist?

Immer ein anderes. Ich lasse mich – nach etwas Einarbeitungszeit – von jedem Thema packen. Zoonotische Dermatosen, Lymphknotendissektion, abstehende Ohren. Ab einer bestimmten Recherchetiefe wird alles interessant.

Besteht als Wissenschaftlerin die Gefahr, zu ausführlich zu recherchieren?

Sicher, aber da hilft die Erfahrung. Ich setze mir klare zeitliche Grenzen. Das ist ökonomisch und hilft, die Gedanken zu fokussieren. Hin und wieder erlaube ich mir aber, über die Stränge zu schlagen und wühle mich ohne Rücksicht auf Zeit und Geld in ein Thema hinein.

Was war das zum Beispiel?

In den letzten Jahren ein Beitrag über die Ungleichheit in der Gesundheit zwischen Arm und Reich im europäischen Vergleich und ein Beitrag über den Einfluss der Pharmafirmen auf die Forschung.

Gibt es noch Wünsche für die Zukunft?

Aktuell baue ich gemeinsam mit anderen Journalisten ein virtuelles Journalistenbüro auf (spätere Anmerkung; Wunsch erfüllt: www.mue-med.de). Mein Ziel ist es, die Vorteile des Angestelltendaseins – also der Austausch unter Kollegen – zu verbinden mit den Vorteilen des Freiberuflerlebens.

Die sind?

Freie Zeiteinteilung und Selbstbestimmung – sprich, die Möglichkeit "Nein" zu sagen und sich kontinuierlich nach den eigenen Wünschen zu verändern.

Was ist mit den Nachteilen – zum Beispiel der fehlenden Sicherheit?

Freiheit und Sicherheit gibt es nicht im Doppelpack. Ich hab mich für Ersteres entschieden.