Zieht eure Socken aus

Der Saxofonist Dewey Redman auf Europatournee

"Ich bin Dewey Redman. Dewey! Redman". So stellt sich augenzwinkernd eine Jazzlegende vor, um Verwechslungen vorzubeugen. Bislang galt er eher als Geheimtipp unter den Musikfans und als "Musicians Musician". Doch der 71-jährige beweist auf seiner neuen Tournee durch Europa, dass er die Youngsters des Jazz locker in den Schatten spielen kann.

Eine Million verkaufter CDs seines Sohnes Joshuas haben den Namen Redman weltberühmt gemacht. Und vielleicht war dieser kommerzielle Anstoß nötig um Dewey Redman endlich den Platz in der Hall of Fame des Jazz zukommen zu lassen, den er schon lange verdient hat.    

Intimer Sound

Wie in allen anderen Clubs auf seiner Tournee ist auch der Münchner Jazzclub Unterfahrt am 2. November bis auf den letzten Stehplatz besetzt. Selbst im Musikerzimmer herrscht Gedränge. Da finden sich alte Weggefährten Dewey Redmans ein um ihre Aufwartung zu machen. Die New Yorker und Wahlmünchner Musiker Monty Waters und Marty Cook plaudern mit ihm über alte Zeiten, bis Dewey sie höflich bittet, den Raum zu verlassen "Ich muss mich jetzt konzentrieren".

Und diese Konzentration spürt dann auch wenig später das Publikum, das bereits beim ersten Ton den Atem anhält. Dewey Redmans Sound auf dem Tenorsax ist klar, weich und so persönlich, dass man sich wie mit dem Vornamen angesprochen fühlt. Wer vom Free-Jazzer Redman schrille Töne erwartet hat, wird zunächst mit einem schon fast ironisch traditionellen "Rhythm Change" Stück überrascht. Redman ist zwar in der Ära des Free- und Avantgarde-Jazz musikalisch groß geworden, hat seine Kritiker aber immer wieder mit Stilwechseln verstört. "Ich würde es Jazz-Improvisation nennen", beantwortet Redman süffisant Fragen nach seinem Stil.

In den 60er Jahren spielte Dewey Redman an der Seite der Jazzlegenden Ornette Coleman, John Coltrane und Pharao Sanders. Im Gegensatz zu Coleman war Redman in den verschiedensten Stilen zu Hause und spielte mit seinen eigenen Bands auch Blues, Swing und Bop. Einige Jazzkritiker halten gerade seine Wandlungsfähigkeit für einen der Gründe, dass ihm die breite Anerkennung so lange versagt blieb.

Clap your hands

In der Unterfahrt stimmt er ein Freebop-Stück an und zeigt, dass er außer einem grandiosen Sound auch noch schnelle Finger hat. Seine hochkarätige Band, Rita Marcotulli am Piano, John Menegan am Bass und John Betsch am Schlagzeug, bilden die optimale Fassung für diesen Diamanten am Saxofon. Der fängt beim dritten Stück richtig zu funkeln an. "Everything Happens to Me", dieser vielgehörten Ballade haucht Dewey Redman mit sparsam und gefühlvoll gesetzten Tönen im Dreiviertel Takt neues Leben ein. Ganz entrückt wirkt er, als er an den Bühnenrand tritt um den anderen Bandmitgliedern Raum für ihre Soli zu geben. Nur hin und wieder entfahren seinem Mund ein paar Töne der Begeisterung. Hier steht kein Egomane vor dem Publikum sondern ein Teamplayer. Bei Menegans lyrischem Solo ist es so leise wie selten in der Unterfahrt. Selbst die Zapfhähne haben ihre Arbeit eingestellt, bis dann der Applaus wieder aufbrandet.

Um das Publikum aus ihrer romantischen Verklärung zu lösen, hat sich Redman für das letzte Stück des ersten Sets was Besonderes einfallen lassen. Hinterher hörte man von einem älteren Fan, "das hätte er vor 20 Jahren bestimmt nicht gemacht". Was das Esbörn Swenson Trio noch vor Kurzem vorgemacht hat, kann das Dewey Redman Quartett auch: Auffordern zum Mitmachen. Während Swenson seinem Publikum das Mitsingen eines Monk-Stückes abverlangt, liegt die Mitmachschwelle bei Redman etwas niedriger. "Clap your hands", fordert der Meister die Unterfahrtbesucher auf und spielt einen Blues an. Damit auch jeder weiß, wie es geht, klatscht Redman auf zwei und vier vor. Die Zuhörer sind dabei und lernen außer dem Free-, Bop-, Swing- und Blues-Spieler auch noch den Showman Redman kennen. Der lässt auf der Bühne die Hüften kreisen und animiert die Klatschenden mit ein paar Tanzeinlagen. Dass er wie kein zweiter den Blues beherrscht, zeigt er in diesem Stück, das seinen warmen Texas-Tenor Sound voll zur Geltung bringt.

You can take your shoes off

"Back to the roots" ist auch im zweiten Set das Motto. Zu Beginn des Konzerts hatte Redman sein Publikum aufgefordert zu relaxen und zu genießen. Mit dem Angebot, "Ihr könnt auch eure Schuhe ausziehen, wenn's denn die Hygiene zulässt", schuf er eine entspannt intime Atmosphäre. Die breitet sich im zweiten Set bei Balladen und Blues dann auch richtig aus. Redman überlässt die Bühne auch mal ganz seinen Bandmitgliedern und zieht sich für ein Stück, in der die Pianistin Rita Marcotulli brilliert, zurück.

Dass seine Energie eine ganze Band nach vorne bringen kann, hat Dewey Redman auch in den 70er und 80er Jahren gezeigt, in denen er unter anderem mit Charlie Haden, Keith Jarrett, Pat Matheny, Ed Blackwell und Don Cherry spielte. Als Bandleader entfaltet er noch mehr Kräfte und - so zeigt er am heutigen Abend - auch eine Menge Humor.

Während eines Bluesstückes mutiert er zum afrikanischen Zeremonienmeister und stampft über die Bühne, schneidet Grimassen ins Publikum und rezitiert unverständliche Wortfetzen ins Mikrofon. Dazu passt sein afrikanisches Outfit und man erinnert sich an seinen Wunsch, "bevor ich gehe, möchte ich noch einmal in meinem Homeland spielen, in Afrika". Das Publikum ist begeistert und klatscht auch zum Schluss wieder mit. Die ursprüngliche Intention des Jazz, die Unterhaltung, kommt hier wieder zum Tragen, ohne dabei etwas von dem modernen, innovativen Geist und der anspruchsvollen Spielkunst zu verlieren. Dewey Redman löst für einen Abend die Gegensätze und Spannungen des Jazz auf, wirbelt alle Schubladen durcheinander und begeistert ein Publikum, das sich im zwar technisch brillanten aber unpersönlichem Mainstream Jazz der jungen Generation etwas verloren vorkam.

Veröffentlicht 2002 im "Journal digital"

Dewey Redman - Zeremonienmeister des Jazz
Michael Hoefner (Creative Commons)
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