Leben Krebspatienten nach einer Gruppentherapie länger oder nur leichter? Zwei Studien entfachen die Diskussion
In der Diskussion über die lebensverlängernde Wirkung von Psychotherapie bei Krebs steht es sieben zu fünf: Sieben Studien sprechen gegen einen solchen Effekt, fünf dafür. Jede neue Untersuchung verschiebt die Gewichtung wieder etwas in die eine oder andere Richtung - und so wogt die Debatte seit den Achtzigerjahren immer wieder hin und her.
Anfang Juli kam erneut Bewegung in die Szene, als Thomas Küchler, der Leiter des Referenzzentrums Lebensqualität am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel, seine Daten veröffentlichte. Die im Journal of Clinical Oncology veröffentlichte Studie zeigt, dass Patienten mit Magen-Darm-Krebs deutlich länger leben, wenn sie neben der chirurgischen Behandlung auch eine Psychotherapie erhalten. Pariert wurde der Befund drei Wochen später durch eine Publikation im Fachmagazin Cancer. Darin kommt David Spiegel, einer der Pioniere der Psychoonkologie, zu dem Schluss, dass eine Psychotherapie Brustkrebspatientinnen nicht zu einem längeren Leben verhilft.
Bereits vor 18 Jahren hatte David Spiegel mit einem überraschenden Ergebnis auf sich aufmerksam gemacht: Brustkrebspatientinnen überlebten in seiner damaligen Untersuchung länger, wenn sie an einer Gruppentherapie teilgenommen hatten. Mit einem Zugewinn von 18 Monaten schien die psychosoziale Therapie das Überleben stärker zu beeinflussen als manches Medikament. Daraufhin versuchten andere Forschergruppen das Ergebnis zu wiederholen. Mit wechselndem Erfolg: Auf jede Studie, die einen positiven Zusammenhang find, kam mindestens eine die keinen fand. Zu Beginn der Neunzigerjahre beschloss Spiegel, die eigenen Daten selbst auf den Prüfstand zu stellen. Er wiederholte sein Experiment und beobachtete den Krankheitsverlauf von 125 Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs zehn Jahre lang. Die Studienteilnehmerinnen wurden zufällig in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Hälfte der Frauen nahm an einer psychoonkologischen Gruppentherapie teil. Die andere Hälfte erhielt lediglich eine Auswahl an Büchern und Videos, die sie über die Krankheit informierten. Bei der Gruppentherapie fanden sich die Patientinnen einmal wöchentlich zu einer 90-minütigen Sitzung ein, die von zwei Experten geleitet wurde. Dabei ermutigt der Therapeut die Frauen, sich ihren Problemen zu stellen, die persönlichen Beziehungen zu stärken und neue Lebensziele zu definieren. Alle Frauen nahmen mindestens ein Jahr lang an der Gruppentherapie teil. Die Studienleiter sorgten dafür, dass sich in beiden Gruppen Frauen mit einer ähnlich schweren Erkrankung befanden. Merkmale, die das Überleben beeinflussen – wie etwa das Alter der Patientin, der Ort der Metastasen, und die Hormonabhängigkeit des Tumors – waren gleichmäßig über alle drei Gruppen verteilt. Nach dem Ende der zehnjährigen Beobachtungszeit ergab sich kein Überlebensvorteil für Patientinnen, die Unterstützung durch eine Therapie erhalten hatten. Ohne Gruppentherapie lebten die Frauen durchschnittlich 33 Monate, mit Therapie 31 Monate. Allerdings litten letztere deutlich seltener unter Stress, Angst und Schmerz. „Unsere Ergebnisse haben mich überrascht und auch ein wenig enttäuscht“, sagt Spiegel.
Eine weitergehende Analyse der Daten zeigte jedoch einen interessanten Zusammenhang: Gruppentherapieteilnehmerinnen mit einem hormonunabhängigen Tumor hatten nämlich einen deutlichen Überlebensvorteil. Diese Frauen – immerhin rund ein Fünftel der Studienteilnehmerinnen – lebten im Schnitt 21 Monate länger als Patientinnen mit einem hormonunabhängigen Tumor, die nur Informationsmaterial erhalten hatten. Spiegel und sein Team haben für ihre neuen und von der vorhergehenden Studie abweichenden Ergebnisse eine mögliche Erklärung. Frauen mit metastasiertem Brustkrebs leben seit Mitte der Achtzigerjahre immer länger – dank neuer Chemo- und Hormontherapien. Insbesondere Patientinnen mit einem hormonabhängigen Tumor profitieren von der modernen Hormontherapie. Es wäre denkbar, dass bei diesen Frauen der lebensverlängernde Effekt durch die medikamentöse Therapie bereits so groß ist, dass ein positiver Einfluss der Psychotherapie nicht mehr ins Gewicht fällt. Bei Frauen mit einem hormonunabhängigen Tumor greifen jedoch die Hormontherapien nicht. Hier könnten die Patientinnen durch Psychotherapie Zeit hinzugewinnen. Der Leiter der Abteilung Sozialmedizin an der Universität Leipzig, Reinhold Schwarz, ist skeptisch, was das Teilergebnis zu den hormonunabhängigen Tumor betrifft. Die untersuchte Gruppe sei zu klein gewesen, um weitreichende Schlüsse aus dem Ergebnis ziehen zu können. Viel bedeutsamer sei die positive Botschaft der Studie, sagt Schwarz: "Sie zeigt, dass eine Gruppenpsychotherapie das Befinden von schwerstkranken Frauen deutlich verbessert." Bietet Psychotherapie also nur ein Plus an Lebensqualität und kein Plus an Lebenszeit?
Kommt drauf an – könnte die Antwort lauten. Denn Michael Küchlers Studie im Journal of Clinical Oncology demonstriert eindrucksvoll den lebensverlängernden Einfluss der Psychotherapie. Küchler und Kollegen teilten Anfang der 90er Jahre 271 Patienten mit Krebs im Bereich Speiseröhre, Magen, Leber, Bauchspeicheldrüse oder Darm zufallsverteilt in zwei Gruppen ein. Eine Gruppe erhielt neben der Standardbehandlung zusätzlich Psychotherapie, die andere Gruppe nicht. Im Schnitt fanden sechs Gespräche zwischen Patient und Psychotherapeut statt. Nach zehn Jahren suchte Küchler und sein Team nach Überlebenden. Insgesamt lebten noch 42 Patienten der Studiengruppe. Die Mehrzahl davon, 29 Patienten, hatte zuvor an der Psychotherapie teilgenommen. Dieser Überlebensvorteil ist statistisch hoch signifikant und zeigte sich vor allem bei Patienten mit Tumoren im Magen, in der Bauchspeicheldrüse, in der Leber und im Darm. Wie bei fast allen Studien, die den Einfluss psychosozialer Therapien in der Krebsbehandlung untersuchen, folgte auch auf Küchlers Studie die Kritik auf dem Fuße. So bemängelt Michael Andrykowski von der University of Kentucky College of Medicine in einem Kommentar im Journal of Clinical Oncology, dass Küchlers Arbeitsgruppe den Einfluss der zusätzlich verabreichten Chemo- und Radiotherapien auf das Überleben kaum in die Analyse miteinbezieht.
Auch mangelt es an einem schlüssigen Erklärungskonzept. Wenn Psychotherapie, wie in dieser Studie geschehen, die Überlebenszeit von Krebspatienten verdoppelt, wie ist es dann dazu gekommen? Über welche – physiologischen, immunologischen oder sozialen – Wege wirkt Psychotherapie auf den Tumor? Die Messlatte an die methodische und konzeptionelle Ausrichtung zukünftiger Studien in diesem Bereich müsse deutlich angehoben werden, betont Andrykowski in seinem Kommentar. Für Peter Herschbach – er leitet die Sektion Psychosoziale Onkologie an der Technischen Universität München – ist die Frage nach der Wirkung von Psychotherapie auf das Überleben von Krebspatienten auch mit diesen beiden Studien nicht abschließend beantwortet: „Es gibt nach wie vor Untersuchungen, die einen Einfluss der Psychotherapie auf das Überleben von Krebspatienten finden, als auch solche, die keinen finden. Wissenschaftlich gesehen, bleibt die Frage offen.“
Quellen:
Spiegel D et al.: Effects of supportive-expressive group therapy on survival of patients with metastatic breast cancer: a randomized prospective trial. Cancer 2007 Jul 23; Epub ahead of print
Küchler, T et al.: Impact of psychotherapeutic support for patients with gastrointestinal cancer undergoing surgery: 10-year survival results of a randomized trial. J Clin Oncol. 2007 Jul 1; 25:2702-8.
Andrykowski MA. Survival benefits associated with provision of psychotherapeutic support to patients with gastrointestinal cancer: lots of bang for a few bucks? J Clin Oncol. 2007 Jul 1; 25:2644-5.